Krakau (2)
Nach der Fahrt nach Warschau hatten wir mit dem Team direkt am darauf folgenden Sonntagabend Reflektionsplenum. Netto waren die meisten zufrieden mit unserer Jungfernfahrt, natürlich-noch-viel-Luft-nach-oben und so, aber mitfahren würden alle wieder. Und mehr Storys gab es; auch die von einer anderen Gruppe die – wie wir – möglichst PoCs abholen wollten, an der Grenze aber keine fanden und eine Person ernsthaft vorschlug, dann eben leer zurück zu fahren. Puh.
Einen Genossen hatte tagsüber eine Anfrage aus Krakau erreicht, ob wir möglichst schnell kommen könnten, die Situation vor Ort wäre desaströs. Na klar. Team aufstellen, Busse und Autos klären und los. Klingt jetzt richtig nach S.W.A.T. Team, aber manchmal klappt ja viel.
Nachts dann wieder mit zwei Bussen plus Bulli und Kombi auf der Straße. Nerviger Stau auf der Autobahn, aber für die Nichtfahrer*innen eine gern genommene Chance sich kurz mal lang machen zu können. Die erste Fahrt hatte ein krasses Defizit auf dem Schlafkonto verursacht und wir waren ja gleich nach zwei Tagen wieder unterwegs.
Ankunft Krakau, Treffen mit den Unterstützer*innen vor Ort, ein paar Deutschen inklusive einer Frau, die russisch sprach. Wenn ihr darüber nachdenkt Geflüchtete abzuholen, raten wir unbedingt zu zwei Sachen: Verlässliche Menschen vor Ort, die das Aufsammeln vorbereiten, Einschätzungen abgeben können, Busparkplätze checken, ev. Pennplätze für die Fahrer*innen organisieren (oder Hostels buchen), etc. Ohne den Support vor Ort wird’s durcheinander und damit zeitfressend (und der Laune des Teams ist es auch nicht zuträglich). Und: Dolmetscher*innen! Dolmetscher*innen! Dolmetscher*innen! Deren unbedingte Notwendigkeit erklärt sich in zwei Richtungen; die Menschen vor Ort (Busparkplatzwächter*innen, Supermarktangestellte, Lokale Unterstützer*innen) sprechen wenig bis gar kein Englisch. Das geht zwar irgendwie mit Hand und Fuß, nervt aber und die Gefahr von Missverständnissen ist groß. Die zweite und noch viel größere Notwendigkeit besteht für die Passagier*innen. Das sind Menschen, die aus einem Krieg geflüchtet sind, alles verloren haben, nun in einem Bus sitzen, dessen Zielort sie vielleicht kennen (oder nicht mal das), begleitet von Anarchist*innen und Antifaschist*innen die – wörtlich gemeint, selber nicht wissen, was, bzw. wie sie etwas sagen sollen. Was dazu führt, dass die erschöpften Menschen auch noch nervös sind, darüber mit wem und wohin die Reise überhaupt geht.
Es gab die Möglichkeit noch einen polnischen Bus dazu zu mieten und die örtlichen Supporter*innen meinten, dass auch der sofort komplett belegt werden könnte. Also getan. Drei Busse mit klar definierten und zu bezahlenden Parkplatz Slots a 20 Minuten vor dem Hauptbahnhof. 20 Minuten für knapp 170 Leute, plus 30 Kinder, um Gepäck zu verstauen und einzusteigen, dazu rumbrüllende Parkplatzwächter, die auch noch geschmiert werden mussten. Das Einsteigen wurde hektisch, die Nerven lagen blank. Kein Wunder warteten die meisten Menschen doch teils schon seit Tagen in diesem Bahnhof und wollten nur noch weg. Unsere Versuche die Leute in Zweierreihen in die Busse zu lotsen um Gedränge und Schubsereien zu vermeiden, funktionierten lausig.
In einem Bus gab es Probleme mit den Sitzplätzen, eine vierköpfige Familie mit zwei Kleinkindern blockierte vier Sitze und eine ältere, gehbehinderte Frau musste noch untergebracht werden. Es gibt Geschreie zwischen der jungen Mutter und anderen Mitreisenden. Ich verstand die Worte nicht, aber es war offensichtlich, dass die Frau ihr Kind nicht auf den Schoß nehmen wollte um der Älteren, die kaum die Treppen in den Bus hochgekommen war, einen Platz zu überlassen. Ich denke kurz darüber nach, das Kind einfach hochzuheben und die Frau auf einen Platz zu schieben, lasse es dann besser sein. Die sowieso schon freidrehende Frau würde nur noch mehr abgehen und dass muss ich in der sowieso schon unübersichtlichen Einsteigesituation auf jeden Fall vermeiden. Die Rettung ist die Dolmetscherin, die sich eine Schreierei mit der Mutter liefert, die am Ende aber einen Platz freiräumt. Will mir gar nicht ausmalen wie das sonst zu klären gewesen wäre. Auf der ersten Fahrt hatte eine Frau einen Nervenzusammenbruch und konnte nur sehr schwer wieder beruhigt werden. Wie gesagt – die Leute sind restlos erschöpft und traumatisiert; das wenige, dass hier hilft ist Kommunikation. Reden, den Leuten sagen wer wir sind und wohin wir sie fahren. Mir ist das erst am Ende der Fahrt eingefallen und der Effekt war super. Eigentlich habe ich uns nur kurz vorgestellt, gesagt, dass wir versuchen würden sie so gut wie möglich zu versorgen (und auch, dass es manchmal hapert), dass es bei Ankunft etwas zu essen und medizinische Versorgung gibt und das sie dann auf Unterkünfte verteilt oder zum Bahnhof zur Weitereise gebracht werden würden. Das wars schon und fast war so etwas wie Erleichterung zu merken, alle waren jetzt im Bilde und beruhigt. Memo an mich: Beim nächsten Mal das unbedingt schon zu Anfang der Reise machen. Applaus gab es für die Ankündigung, dass die Mütter (es waren fast nur Frauen), ihre Kinder an Genoss*innen zur Bespaßung abgeben könnten. Begeisterung bei den Frauen dafür eine Pause nur für sich zu haben, hatten sie die Kinder doch tagelang auf der Flucht mitgeschleppt.
Bei der Ankunft (wieder an dem Stadion) dann große Augen, Dolmetscher*innen in Westen, Hilfeschilder auf Kyrillisch, Ukrainische Hamburger mit Schildern die Unterkunft anboten. Wow. Die Hamburger Unterstützer*innen waren richtig am Start.
Am nächsten Tag höre ich von einem Genossen, dass der Innensenator (dem wir unter anderem die Bullenattacken während des G20 zu verdanken haben), im Fernsehen war und vor der ZEA (der Zentralen Erstaufnahme) von Humaner Hilfe schwallerte und sich so richtig super vorkam. Hinter ihm fuhr ein Bus mit Geflüchteten durchs Bild, der von einer anderen anarchistischen Gruppe aus Hamburg organisiert war.
Solidarität sind keine warmen Worte, sondern gegenseitige Hilfe – Busse, Medikamente, Westen und Helme. Und Solidarität wird immer siegen.
A.L.E.