20. April 2016 /
Am 20. April fand in Athen ein Schauprozess gegen 22 Anarchist*innen statt. Wir sind nach Athen gereist, um den wichtigen Prozess zu beobachten, dessen politische Bedeutung zu analysieren und Gespräche mit Aktivist*innen zu führen.
Der politische Hintergrund
In Griechenland gibt es aktuell knapp 40 politische Gefangene, die wegen Beihilfe oder Ausführung militanter Aktionen in Hochsicherheitsgefängnissen sitzen. Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten haben die politischen Gefangenen weiterhin den Anspruch politisch aktiv zu sein. So nehmen sie regelmässig telefonisch oder mittels Texten Stellung zu sozialen Kämpfen und liefern wichtige theoretische Inputs. Mit regelmässigen Solidaritätsaktionen zeigt die anarchistische Bewegung im Gegenzug, dass die Gefangenen nicht vergessen wurden.
Welche Bedeutung die politischen Gefangenen haben, lässt sich an einem Hungerstreik im letzten Jahr verdeutlichen. Als die Massen in Griechenland auf die Strasse gingen, verpassten es die Anarchist*innen eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Was folgte war eine politische Sackgasse, Zersplitterung und eine isolierte anarchistische Bewegung. Im 2015 riefen die politischen Gefangenen zu einem Hungerstreik auf, um Druck auf die neugewählte „linke“ Syriza Regierung auszuüben. Unter dem Banner der gemeinsamen Solidarität für die politischen Gefangenen zogen viele zersplitterte anarchistische Gruppen nach langer Zeit wieder an einem Strang. Leider verpuffte die Dynamik, als der Hungerstreik beendet wurde.
Der Prozess
Der Prozess am 20. April hatte das Potenzial in der anarchistischen Bewegung eine ähnliche Dynamik auszulösen, wie beim letztjährigen Hungerstreik. Bei diesen Neuverhandlungen wird entschieden, ob Gefängnisstrafen heruntergesetzt oder die Urteile aus den ersten Verhandlungen bestätigt werden (eine Verschärfung der Urteile ist laut unseren Informationen nicht möglich).
Schon im Vorfeld des Prozesses gab es zahlreiche Demos vor den Knästen. Zudem gab es am 15. und 16. April ein Fest in Exarchia, beidem sich die Gefangenen telefonisch zu Wort meldeten und gemeinsam über verschiedene theoretische Inputs diskutiert wurde.
Der Prozessauftakt wurde auf 9.30 Uhr beim Korydallos Gefängnis angesetzt. Schon früh bezogen zahlreiche Riotcops in Vollmontur Stellung und sperrten die zwei einzigen Zugangsstrassen zum Gefängnis ab. Das Ziel der Staatsmacht war es von Anfang an zu verhindern, dass solidarische Menschen in den Gerichtssaal gelangen konnten. So wurde beispielsweise schon vor Prozessbeginn den zahlreichen Sympathisant*innen der Zugang mit der gelogenen Begründung verwehrt, dass der Saal bereits voll sei. Dennoch gelang es Dutzenden im Verlauf der Verhandlung in den Gerichtssaal zu gelangen.
Nachdem das zehnköpfige Gericht nach rund fünf Stunden alle Zeug*innen, Verwandten und Angeklagten verlesen hatte, wurde aufgrund eines allgemeinen Streikes der Anwälte verkündet, dass der Prozess um einen Monat verschoben werden müsse. Die Verschiebung ist eher als negativ zu bewerten, da sich die Ungewissheit für die Angeklagten um einen Monat verschiebt.
Die 22 Anarchist*innen zeigten sich entschlossen und signalisierten somit deutlich, dass die jahrelange Gefangenschaft sie nicht gebrochen hatte. Trotz der anwesenden PolizistInnen, die sich immer wieder in den Weg stellen wollten, gelang es den Sympathisant*innen in den Pausen, sowie nach der Verhandlung zu den Gefangenen vorzudringen und mit ihnen zu reden.
Nachdem die Verhandlung offiziell beendet wurde, wurden die Gefangenen mit lautstarken Parolen und einem Transparent verabschiedet.
Die Bedeutung und Folgen
Der Prozess gegen die 22 Anarchist*innen hat für den Staat eine besondere Bedeutung. Seit Jahren brodelt es in Griechenland und die sozialen Missstände verschärfen sich. In dieser Phase der politischen und wirtschaftlichen Krise, muss der Staat vermehrt um seinen Herrschaftsanspruch kämpfen. (Militante) Aktionen, die diesen Herrschaftsanspruch in Frage stellen, kommen für den Staat in dieser Zeit gänzlich ungelegen. Aus Angst, dass sich solche Aktionen mehren und somit eine stärkere Bedrohung darstellen, werden bei denjenigen, die erwischt werden ein Exempel statuiert. So drohen den meisten Angeklagten für Sachbeschädigungen eine Gefängnisstrafe von mehren Jahrzehnten. Als prominentes Beispiel ist hier Nikos Maziotis zu nennen, der für einen Anschlag auf eine leerstehende Bank zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Noch ist es zu früh um abzuschätzen, ob der Prozess in der anarchistischen Bewegung eine neue Dynamik auslösen wird. Für uns ist jedoch klar, dass es wichtig ist den Gefangenen zuzuhören und sie in unseren Kämpfen miteinzubeziehen. Wir werden regelmässig über die politischen Gefangenen in Griechenland berichten. Wer sich solidarisch zeigen will, kann sich jederzeit bei uns melden. So kann mensch beispielsweise Briefe schreiben, spenden (in Griechenland haben es Soligruppen schwer Geld aufzutreiben um die Anwaltskosten zu decken oder die Gefangenen zu unterstützen, damit sie beispielsweise im Knastladen etwas kaufen können), Transpiaktionen machen oder das Umfeld informieren.
Solidarität ist eine Waffe!