27. Juli 2016 /
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Seit dem gescheiterten Putschversuch einiger Teile des türkischen Militärs, lässt sich Erdogan als Alleinherrscher feiern. Tagelang gehen seine BefürworterInnen auf die Strassen, schwenken Nationalflaggen und jagen Andersdenkende. Nicht nur in der Türkei kommt es anschliessend zu gewalttätigen Übergriffen von Regimetreuen.
Erdogan nutzt die Möglichkeiten, welche sich ihm durch den gescheiterten Putsch eröffnet haben aus, um tausende, ihm unliebsame Staatsangestellte zu entlassen und/oder einzusperren. So wurden:
● 2’854 RichterInnen und StaatsanwältInnen entlassen
● 1’577 Universitätsdekane zum Rücktritt gezwungen
● 21’738 DozentInnen staatlicher Schulen entlassen
● 22’000 Lehrlizenzen an Privatschulen entzogen
● 2’963 Beamte suspendiert
Zudem wurden 24 Radio-und Fernsehsendern die Lizenzen entzogen. Erdogan will seine Macht stärken und setzt darauf, dass sich die Gewaltspirale immer weiter ausdehnt. Nach dem Putschversuch wurde der Ausnahmezustand ausgerufen und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ausser Kraft gesetzt! Folter und Misshandlungen werden nun ganz offen angewendet.
(Bild: Islamistischer Erdogan Unterstützer am „Fest der Demokratie“)
Zur Lage in der Türkei vor dem Putschversuch
Bereits vor dem Putschversuch glänzte das Erdogan Regime mit Gewaltakten gegenüber der linken Opposition in Politik, Wissenschaft, Medien und Bildung. So wurden etwa im vergangenen Winter unter dem Deckmantel „Kampf gegen Terror“ ganze kurdische Städte wie Sur, Cizre oder Nusaybin zusammengebombt. Dabei wurden hunderte Zivilist*innen, darunter auch 33 Kinder getötet, z.T. sogar bei lebendigem Leib verbrannt.
(Bild: Die zerbombte Stadt Cizre)
Zudem unterstützte Erdogan in Syrien logistisch, wie auch finanziell den Islamischen Staat. IS Kämpfer konnten sich in türkischen Staatskrankenhäuser wieder gesundpflegen lassen, Waffen und Nachschub wurde offen über türkische Grenzübergänge an den IS geliefert. Zeitgleich wurden dutzende Flüchtlinge auf syrischem Boden von türkischen Grenzsoldaten verletzt oder getötet. Die Flüchtlingssituation, ausgelöst durch den barbarischen Krieg des IS in Syrien und Irak, wurde vom Erdogan Regime als Druckmittel gegen Europa eingesetzt. Erdogan „drohte“ öffentlich damit, gut 3 Millionen Flüchtlinge, welche sich in der Türkei befinden in Busse zu setzten und nach Europa zu schicken, wenn die EU nicht bereit sei seinen Forderungen nachzukommen. Dieses Spiel wurde insbesondere von dem deutschen Staat unter Führung von Angela Merkel erstaunlich lange mitgespielt.
Unsere Verantwortung wahrnehmen
Wir wollen und können nicht schweigen, wenn Menschen unterdrückt, gefoltert oder getötet werden, nur damit Erdogan seine Macht erhalten kann. Erdogan hat seine VertreterInnen der türkischen Botschaft in Bern bereits aufgefordert auch hierzulande die Opposition zu verfolgen und mit allen möglichen Mitteln zur „Rechenschaft“ zu ziehen. Es ist ein Aufruf, dass auch in Bern oder Schweiz die Verfolgungen und Übergriffe weitergehen sollen. Der Schweizer Staat unterhält seit Jahren enge diplomatische Beziehungen mit dem Diktator und Mörder Erdogan! Die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Regime, welches in der Vergangenheit den Islamischen Staat unterstützt hat und aktuell das Folterverbot missachtet, werden höher eingestuft als Menschenleben. In so einer Situation liegt es an uns allen, um dem türkischen Regime die Stirn zu bieten:
– Wir können unsere Freund*innen über die Ereignisse informieren
– Wir können gemeinsame Protestaktionen auf die Beine stellen z.B. vor der türkischen Botschaft.
– Wir können verfolgten und bedrohten Menschen aus der Türkei helfen und sie hier vor weiteren Übergriffen schützen.
– Wir können an Delegationsreisen teilnehmen, oder selber welche organisieren und eine sichtbare Präsenz vor Ort aufbauen.
– Wir können uns mit jenen Kräften solidarisch zeigen, die weder das mörderische Regime unterstützen, noch Teile der gewaltbereiten Putschist*innen darstellen, sondern für eine progressive Welt kämpfen.
Ein möglicher Lösungsweg
Im türkischen Staat tummeln sich viele Interessen. Einerseits gibt es als Regierungsparteien die faschistische MHP, die islamistische AKP und die kemalistische CHP. Zudem kommt der Gülen Bewegung eine wichtige Rolle zu. Bis vor wenigen Jahren konnte die Gülen Bewegung, welche nicht explizit durch eine politische Partei vertreten wird, sich mit Erdogan die Macht teilen. Ganze Staatszweige, wie die Justiz und das Militär, konnten von Gülen Anhängern besetzt werden. Ab dem Korruptionsskandal, welcher von Gülens Leuten öffentlich gemacht wurde und den Erdogan in Bedrängnis brachte, mutierte die Gülen Bewegung zum offiziellen Staatsfeind Nummer eins. So wird auch beim aktuellen Putschversuch der Gülen Bewegung die Verantwortung zugeteilt. Auch wenn der Putsch in erster Linie von nationalistischen Kemalisten angezettelt wurde.
Egal ob CHP, MHP, AKP, Gülen oder Putschisten, keine dieser Parteien oder Gruppierungen können für die Menschen in der Türkei eine Zukunftsperspektive geben. Die MHP möchte einen Staat nach faschistischem Modell, die AKP will einen Gottesstaat nach dem Islam, die CHP will zurück zu Kemals Zeiten, die Gülen Bewegung will mehr Religion und weniger Staat und die Putschisten setzen auf die Gewalt des Militärs und würden mit gleicher Gewalt vorgehen, wären sie einmal an der Macht.
Jedoch gibt es seit ein paar Jahren eine Oppositionspartei, welche alle Religionen, Ethnien, Sprachen und Kulturen des Landes anerkennt und repräsentiert. Die HDP als prokurdische Partei ist nicht nur ein Weg für eine friedliche Lösung zwischen der Türkei und den kurdischen Gebieten. Sie ist auch eine Partei, welche für die zunehmend sozialen Probleme in der Gesellschaft, für die Flüchtlingsproblematik (..) Lösungen finden kann. Die HDP schaffte es bei den vergangenen Parlamentswahlen trotz massiver Gewalt (Angriffe auf HDP Politiker*innen und auf über 130 HDP Büros im ganzen Land) von AKP und MHP die 10% Hürde zu nehmen und ins Parlament einzuziehen. Diese Opposition steht Erdogan zu seiner Alleinherrschaft im Weg und treibt ihn zu noch mehr Repression und Gewalt. So wurde kurz vor dem Putsch den HDP Abgeordneten ihre Immunität aufgehoben. Somit können die gewählten Politiker*innen jederzeit vom türkischen Staat verhaftet und inhaftiert werden.
Die HDP kann es alleine jedoch nicht schaffen die Verhältnisse in der Türkei von der Barbarei abzuwenden. Dazu braucht es auch wieder eine soziale Bewegung wie sie während der Gezi Proteste zum Vorschein kam. Millionen Menschen (rund 8 Mio über die ganze Türkei verteilt) Protestierten 2012 anlässlich der Gezi-Park-Proteste gegen die Politik der Regierung. Dieser Protest konnte nur durch massivste Gewalt und rund 13 Tote vom Regime gestoppt werden. Im Moment ist es in der Türkei kaum möglich auf der Strasse zu demonstrieren. Das Risiko einer Verhaftung, Folter und sogar Tod ist allgegenwärtig. Dennoch haben sich in den kurdischen Gebieten und in einzelnen Quartieren Selbstverteidigungsgruppen gebildet, die Schutz vor Übergriffen bieten sollen.
Um die Menschen vor Ort zu unterstützen braucht es unsere Solidarität. Wir müssen hier und überall unsere Stimme erheben und auf die Brutalität der Erdogan Regierung aufmerksam machen. Unterstützen wir die bekämpfte Opposition in der Türkei, solidarisieren wir uns mit den Unterdrückten und kämpfenden Menschen!