Interview: Anarchismus, Frauen*befreiung und Internationalismus in Rojava

27. Mai 2018 / Peter Schaber, Redakteur beim  Lower Class Magazine, beteiligte sich ca. von Februar bis November 2017 in verschiedenen zivilen und militärischen Strukturen in und um Rojava. Seine Reise führte von den Guerillacamps der PKK in den Bergregionen an der türkisch-irakischen Grenze hin zum Siedlungsgebiet der Jesid*innen in Shengal und nach Rojava bis zur Front in Rakka.

AGB: Welche Chancen/Perspektiven siehst du im revolutionären Projekt in Rojava?
Peter: Der revolutionäre Prozess in Rojava ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Umwälzungen, die dort stattfinden, stellen meiner Meinung nach einen wichtigen Bezugspunkt für die revolutionäre-internationalistische Linke dar. Gerade das dortige Modell einer Rätedemokratie ist eine inspirierende Perspektive für uns in Europa.

AGB: Hast du während deiner Reise Anarchist*innen oder anarchistische Strukturen gesehen? Welche Rolle spielen Anarchist*innen in Rojava?
P: Ich habe nicht in jenen Gruppen gearbeitet, die dezidiert anarchistisch auftreten, wie etwa die IPRGF. In der Internationalistischen Kommune aber waren auch viele Anarchist*innen.

AGB: Kannst du kurz erläutern was die internationalistische Kommune ist?
P: Die Kommune ist ein Projekt für Leute aus Europa, um die politische Arbeit in Rojava kennen zu lernen und in der taeglichen Praxis der Revolution mitzuarbeiten. Es gibt natürlich einige Widersprüche, aber auch viele gute Erfahrungen und Diskussionen, die man dort erlebt. In der Kommune sind ganz unterschiedliche Spektren – von kommunistisch bis anarchistisch – beteiligt.

AGB: Denkst du, dass sich Anarchist*innen in Rojava mehr bekennen sollten? Allgemein, wie wichtig ist die eigene politische Identität vor Ort?
P: Eine eigene politische Zuordnung ist natürlich wichtig. Gleichzeitig können Identitäten auch eine gewisse Verkürzung darstellen. In Rojava hat die politische Arbeit spektrenübergreifende Gemeinsamkeiten oder Zusammenarbeiten beispielsweise zwischen (Sozial)Anarchist*innen und Kommunist*innen aufgezeigt. Allgemein wird viel zu konkreten Sachfragen gearbeitet und versucht eine gemeinsame Praxis zu entwickeln.

AGB: Gibt es theoretische oder praktische Erfahrungen aus Rojava, aus denen Anarchist*innen lernen können oder Konzepte neu überdenken müssen?
P: Durch den Paradigmenwechsel der PKK gibt es Tendenzen (z.B. Staatskritik), die auch für Anarchist*innen ansprechend geworden sind. Die Erfahrungen in Rojava haben aber auch gezeigt, dass die Kader eine wichtige Rolle eingenommen haben. Hierbei kann man sicherlich über die Begrifflichkeit des «Kaders» diskutieren und auch einen neuen, nicht vorbelasteten Begriff verwenden. Wichtig ist nur, dass es eine gewisse organisierte revolutionäre Kraft braucht, um eine Veränderung erst möglich zu machen.

AGB: Umgekehrt stellt sich die Frage, was die Menschen in Rojava von Anarchist*innen bzw. Internationalist*innen lernen können?
P: Zuerst einmal ist es wichtig, dass man nicht mit einer überheblichen und besserwisserischen Art nach Rojava fährt. In erster Linie können wir vieles in Rojava lernen. Natürlich haben aber auch wir eigene Perspektiven, die wir vor Ort einbringen können.

AGB: Hattest du Einblicke in die Frauen*organisierung und wie weit ist die Befreiung der Frauen* vorangeschritten?
P: Diese Frage können natürlich Genossinnen* besser beantworten. Gerade in der internationalistischen Kommune gibt es viele Frauen*, die in der Frauenorganisierung aktiv sind. Aber auch als Mann merkt man, dass in vielen Bereich Frauen in Rojava Vorreiterinnen der Revolution sind und eine starke gesellschaftliche Rolle einnehmen.

AGB: Was sollte bei der Solidaritätsarbeit für Rojava bedacht werden?
P: Prinzipiell ist jede Art von Solidaritätsarbeit – von Spenden über Antirep – wichtig. Des Weiteren sollten wir von einem globalen revolutionären Prozess ausgehen und unsere Kämpfe gemeinsam mit den Kämpfen in Rojava und anderswo stellen. Wünschenswert wäre zudem, dass es in der Schweiz, Deutschland oder Europa weitere Annäherungen und strategische Zusammenarbeiten mit der kurdischen Bewegung entstehen.

AGB: Vielen Dank für das Gespräch.
P: Danke auch. Wer sich über die internationalistische Kommune informieren will, findet hier weiterführende Links:
Homepage: https://internationalistcommune.com/internationalistische-kommune-von-rojava-die-verteidigung-der-revolution-bedeutet-afrin-zu-verteidigen/
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