Gemeinsames Interview zum Frauen*streik

13. Juni 2019 /Am 14. Juni findet der Frauen*streik statt. In diesem Interview erzählen Patricia von der Frauen*streik-Koordination Bern und Ronja von der Anarchistischen Gruppe Bern, die sich in der Lorraine-Koordination organisiert hat, ausführlich über die Organisierung des Streikes, den Plänen zum Tag und der politischen Motivation.

Kannst du dich kurz als Einzelpersonen vorstellen? Was sind die Schwerpunkte deiner Streik-Koordination?
Patricia: Ich bin berufstätig, 29 Jahre alt und bei Berner Frauen*streik-Koordination seit der Gründung mit dabei. Dort haben sich über die Monate hunderte Frauen* zusammengefunden. Wir sind Schüler*innen, Student*innen, Hausfrauen*, Arbeitnehmerinnen*, freischaffend, erwerbslos oder pensioniert. Wir sind Mütter*, Grossmütter* und kinderlos. Kurz: Wir sind viele – und wir wollen etwas verändern! Gemeinsam. Egal woher wir kommen, welche Hautfarbe wir haben, wie wir leben, wen wir lieben und unabhängig von unserem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht.
Angefangen hat alles im vergangenen Spätsommer mit einem ersten Treffen am 1. September. Der Streik lag schon in der Luft; in der Westschweiz war er bereits beschlossene Sache. Wir waren uns schnell einig: Auch wir in Bern wollen streiken. Weil wir Frauen* die Nase voll haben von Sexismus, Gewalt und der Abwertung unserer Leben und unserer Entscheidungen. Nur schon die Tatsache, dass alle zwei Wochen eine Frau in der Schweiz infolge von Gewalt stirbt, wäre für sich alleine ein Grund für einen Streik.
Seither haben wir diskutiert, uns vernetzt und gemeinsam Pläne geschmiedet. Und bei jedem Treffen waren wieder neue Frauen* dabei. Wichtig war und ist uns, den Zugang möglichst niederschwellig zu halten. Jede Frau* soll ihre Überlegungen und Streik-Gründe einbringen können. Da gibt es viele Bereiche: etwa Gewalt, Unsichtbarkeit, bezahlte und unbezahlte Arbeit, Reichtum und Armut oder Sexualität. Und: Wir organisieren uns selber. Jede nach ihren Möglichkeiten, mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen.
Ronja: Ich bin ebenfalls berufstätig und über 30 Jahre alt. Als Frau* war ich fast mein Leben lang mit verschiedenen Formen von Sexismus konfrontiert. Vor ca. fünf Jahre habe ich die Entscheidung gefällt mich zu organisieren. In der Anarchistischen Gruppe Bern beschäftigen wir uns mit verschiedenen aktuellen Themen. Schwerpunktmässig haben wir uns in den letzten Jahren intensiv mit der Frauen*revolution in Rojava befasst, sowie anarchistische und feministische Perspektiven auf die Strasse, aber auch in innerlinke Diskurse getragen. Der Frauen*streik war somit thematisch schon sehr früh auf unserer Agenda und wir haben uns lange überlegt, wie wir vorgehen und was wir machen wollen.

Welche Bedeutung hat der Streik 1991 für dich?
P: Der Frauenstreik von 1991 hat eine immense Strahlkraft. Der Blick zurück – sei es via Fotos oder Erzählungen von Frauen*, die dabei waren – ist enorm motivierend und lehrreich. An diesem Tag wurde Geschichte geschrieben, und zwar von Frauen. Hunderttausende nahmen am Streik teil. Da hat es den männerdominierten Medien nichts genützt, den Streik als harmloses Frauenfest darzustellen. Oder den Chefs und Politikern, die den Streik kleinreden oder die Frauen einschüchtern wollten.
Natürlich war der Frauenstreik bunt und fröhlich, aber er war zuallererst eine Machtdemonstration. Und das wurde spürbar. Am Tag selber, aber auch in der Zeit danach. Alles, was darauf erreicht wurde, hätte es sonst nicht oder nicht so gegeben: das Gleichstellungsgesetz, Verbesserungen für Frauen bei der AHV, die Fristenregelung, die Mutterschaftsversicherung, der Ausbau des Kita-Angebots, die Gleichstellungsbüros. Fakt ist: Es ist etwas passiert – auch wenn gewisse Änderungen es erst einmal nur aufs Papier geschafft haben. Die Lohngleichheit zum Beispiel.
Und hier kommt eine weitere Bedeutung hinzu, die der Frauenstreik 91 heute hat: Wir knüpfen an viele Forderungen von damals an, die fast 30 Jahre später noch immer nicht erfüllt sind. Sexismus und sexuelle Belästigung sind allgegenwärtig. Gerade wird das Rentenalter der Frauen* wieder angegriffen. Und ein Blick in die Statistik beweist: die meisten Armutsbetroffenen sind Frauen, Frauen verdienen rund 20 Prozent weniger als Männer und haben 37 Prozent weniger Rente, Frauen leisten immer noch den Grossteil der unbezahlten Arbeit. Zusammengezählt haben Frauen in der Schweiz rund 108 Milliarden Franken weniger Lohneinkommen pro Jahr als Männer, inklusive Sozialleistungen. Obwohl sie gleich viele Stunden arbeiten. Das hat die feministische Ökonomin Mascha Madörin ausgerechnet. Allein diese Zahl zeigt, in welchem unglaublichen Ausmass die Wirtschaft von den Frauen profitiert. Oder besser gesagt: sie ausbeutet.
R: Es ist heute kaum vorstellbar, dass bis zu 500`000 Menschen auf die Strasse gehen, obwohl das Jahr 1991 noch nicht so lange zurückliegt. Allein die Zahl der Teilnehmenden ist schon sehr beeindruckend. Besonders inspirierend fand ich, dass 1991 der Frauen*streik die Jahrhundertfeier der Eidgenossenschaft vom Bundesplatz verjagte und den Platz kurzerhand besetzte. Der Streik damals hat natürlich vieles beweget – vor allem institutionell. Gleichzeitig kann der Streik auch als eine Art historische Warnung verstanden werden. Ein paar neue Gesetzen reichen nicht aus, um die patriarchale Gesellschaft zu überwinden. Besonders erschreckend finde ich, dass so viele feministische Gruppen von damals nicht mehr existieren. Als hätte es die feministische Bewegung damals nie gegeben. Dies zeigt auch, dass kleine Siege zwar wichtig sind, aber wir uns nicht darauf ausruhen können. Jetzt müssen wir vieles von Neuem lernen, z.B. wie wir einen Streik organisieren können, wie wir die Leute erreichen oder wie wir Verbündete finden können.

Warum denkst du, dass ein Streik das richtige Mittel ist?
P: Ganz einfach: Weil alles andere nichts bringt. Und wenn uns die Geschichte eines gelehrt hat, dann ist es folgendes: Wenn wir Frauen* etwas wollen, dann müssen wir es selbst machen. Wir müssen Druck aufbauen, Macht demonstrieren. Denn: Wir sind es, die alles am Laufen halten. Dessen müssen wir uns auch selbst bewusstwerden. Sonst ändert sich rein gar nichts.
R: Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass wieder von einem Streik die Rede ist. Klar wird es kein klassischer Streik werden, bei dem Alle ihre Arbeit niederlegen. Aber es löst auch Diskurse aus, was unter Arbeit zu verstehen sein soll. Jährlich werden rund 8 Milliarden Stunden bezahlte Arbeit und sogar 9 Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit geleistet. Rund 75% der unbezahlten Arbeit fällt im Haushalt an, wo wir Frauen* einen grossen Teil übernehmen müssen. Aber gerade die Kombination aus Streiks in dem Betrieben und Streiks im Haushalt macht den Frauen*streik so facettenreich und kraftvoll. Ein Streik ist ein mächtiges Druckmittel und nach tausenden Jahren Patriarchat, denke ich ist jedes Mittel legitim, um uns davon zu befreien.

Ronja ihr beteiligt euch nicht an der offiziellen Koordination und organisiert stattdessen etwas Eigenes. Schwächt ihr damit nicht die Streikbewegung, welches ansonsten sehr breit aufgestellt ist?
R: Es haben sich verschiedene Koordinationen gebildet. So gibt es beispielsweise auch an der Uni eine Frauen*streik-Koordination, welche dort versucht die Frauen* zu organisieren und am Streiktag ein eigenständiges Programm veranstaltet. Unser Ansatz war es verschiedene Strömungen innerhalb der ausserparlamentarischen Linken zu mobilisieren, sowie die Menschen im Lorraine Quartier zu organisieren. Grundsätzlich solidarisieren wir uns mit den Forderungen der Frauen*streik-Koordination, wollen aber auch weitere Perspektiven miteinbringen, welche eine tiefgründigere Kritik an den Machtverhältnissen äussern und radikale Kämpfe sichtbar machen. Gerade der Punkt, dass 1991 der Bundesplatz besetzt werden musste und dieser nun einfach zur Verfügung gestellt wird, wiederspiegelt nicht unsere Symbolik des Streikes. Wir wollen nicht unter den Augen der Politik und der alten weissen Männer unseren Protest austragen. Stattdessen wollen wir dort sein, wo der Alltag der Menschen ist – nämlich in den Quartieren und in den Betrieben, wo Frauen* in prekären Arbeitsverhältnissen stehen. Zudem fänden wir es schade, wenn an diesem Tag sich alles rund um den Bundesplatz abspielen würde, aber in den restlichen Orten nichts von einem Streik bemerkbar wäre. Unser Streik in der Lorraine ist somit als Ergänzung zu all den Aktionen und Veranstaltungen der anderen Koordinationen zu verstehen.

Es gab auch die Kritik, dass das Wort «Frauen*streik» ausschliessend sei für andere Geschlechter*identitäten, welche ebenfalls vom Patriarchat betroffen sind. Ronja was sind eure Gründe, dass ihr dennoch von einem Frauen*streik sprecht?
R: Grundsätzlich finden wir Kritik immer begrüssenswert. So gibt es beispielsweise die Kritik, dass sich Transfrauen als Frauen ohne Stern sehen. Des Weiteren teilen wir die Analyse, dass nicht nur Frauen* vom Patriarchat betroffen sind. In Basel hat sich die Koordination beispielsweise feministischer Streik genannt. Auch bei uns gab es lange Diskussionen, welches «wording» am Wenigsten ausschliessend wäre. Dabei hatten wir verschiedene Varianten vom queerfeminstischen Streik bis zum anarchafeminstischen Streik. Letztendlich kamen wir zum Entschluss, dass ein so komplexes Thema nicht auf ein Projekttitel reduziert werden kann. Wir versuchen eher in unseren Texten die Widersprüche aufzuarbeiten und beziehen uns historisch auf den Frauen*streik von 1991.

Was hat deine Streik-Koordination konkret vor am 14. Juni?
P: Wir bestreiken die Hausarbeit und spannen Freunde, Brüder, Partner, Ehemänner, Väter und Grossväter dafür ein. Wir hängen violette Fahnen, Transparente und Leintücher sichtbar für alle auf. Wir tragen Streikbuttons oder violette Kleidungsstücke z.B. Halstücher, T-Shirts oder Socken, um unsere Solidarität zu zeigen. Die Farbe Violett soll sichtbar sein, den ganzen Tag.
Wir streiken aber nicht nur symbolisch. Es gibt Aktionen und Veranstaltungen in und um die Stadt Bern herum: Die Heitere Fahne organisiert am Vormittag einen Streik-Brunch, im Liebefeldpark treffen sich Frauen* zum Picknick und in Neuenegg findet ein Trottoirkaffee statt. Die Berner Kulturinstitutionen organisieren einen Sternmarsch und Mütter* und Grossmütter* eine Kinderwagendemo zum Bundesplatz. Den ganzen Tag gibt es eine Kinderbetreuung im Kindertreff Chinderchübu, organisiert von solidarischen Männern*. Daneben gibt es Streik-Veranstaltungen in Betrieben: Wir wissen von einer Kita, die an diesem Tag geschlossen wird und von einer Tagesschule, in der Männer* für die Kolleginnen* einspringen werden.
Frauen*: Macht mit euren Kolleginnen* Streikpausen, Streikveranstaltungen und Streik-Treffpunkte! Um 11 Uhr steht alles still: Im ganzen Land verlassen Frauen* ihren Arbeitsplatz, machen sich mit viel Lärm hör- und sichtbar und treffen sich draussen, im öffentlichen Raum, um gemeinsam Mittag zu essen.
Am Nachmittag starten die Hochschul-Frauen* auf der grossen Schanze ihr Programm mit Reden, Musik, Poetry Slam und Barbetrieb. Die pensionierten Frauen* treffen sich auf der kleinen Schanze zu einer Staubsauger-Aktion und bei der Heiliggeist-Kirche demonstrieren Kirchenfrauen* unter dem Motto «Gleichberechtigung. Punkt. Amen». Ab 15 Uhr gibt’s auch Programm auf dem Bundesplatz.
Dort kommt schliesslich alles zusammen! Um 16.24 Uhr heisst es: Frauen*, spätestens jetzt, legt eure Arbeit nieder. Denn ab diesem Zeitpunkt arbeiten Frauen* in der Schweiz gemessen an den Männer*löhnen gratis. Die Berner*innen besammeln sich dann auf dem Bundesplatz, zur grossen Demo.
Neben all dem, was schon geplant ist, rufen wir alle Frauen* dazu auf: Schnappt euch eure Nachbarinnen*, Freundinnen* und Kolleginnen*. Schliesst euch zusammen und geht auf die Strasse. Nehmt Klappstühle mit, nehmt an einer Aktion teil oder macht selber eine. Macht euch hör und sichtbar, in den Strassen, den Quartieren und in den Betrieben!
R: Wir werden in der Lorraine das Jinwar-Dorf bauen und den öffentlichen Raum für queerfeministische Anliegen sichtbar machen. Der Name „Jinwar“ ist angelehnt an das „Dorf der freien Frauen*“ in Rojava. Rojava liegt in Nordsyrien und wurde in den letzten Jahren durch die „Revolution der Frauen*“ bekannt. Im Jinwar-Dorf sollen Diskussionen, Austausch, Workshops, Vorträgen, Informationsstände, Essen, Kinderbetreuung, Abendprogramm und mehr stattfinden. Zudem werden Aktionen aus dem Quartier aus stattfinden, bei dem wir verschiedene patriarchale Unterdrückungsformen thematisieren werden. Ansonsten werden wir uns natürlich an den überregionalen Fixpunkten beteiligen und uns der grossen Demonstration anschliessen.

Was will deine Streik-Koordination erreichen? Gibt es bestimmte Ziele auf die ihr aufmerksam machen wollt?
P: Es gibt für uns nicht eine, zwei oder drei Hauptforderungen. Sondern ganz viele. Jede Frau* soll am 14. Juni sichtbar machen, worum es ihr geht. Es gibt aber ein nationales Manifest, in dem einige Forderungen zusammengetragen wurden. Dort heisst es unter anderem: Es fehlt uns an Geld und an Zeit; wir wollen gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit; wir fordern eine Wirtschaftspolitik, die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit ins Zentrum stellt und diese finanziert; wir wollen die generelle Reduktion der Arbeitszeit, bei gleichbleibendem Lohn und einen Mindestlohn; wir wollen Bleiberecht für geflüchtete Frauen*; wir wollen frei entscheiden können über unsere Sexualität und Geschlechtsidentität; wir fordern das Ende von Gewalt an Frauen*; wir fordern das Ende von Sexismus; wir wollen selbst über unser Körper bestimmen.
Und: Viele Frauen* finden – ganz grundsätzlich –, dass es so nicht weiter geht. Dass es grundlegende Veränderungen braucht, am System, in dem wir leben. Das Manifest fordert: Ändert nicht die Frauen, sondern ändern wir die Gesellschaft.
R: Wir finden es in erster Linie wichtig, dass sich Menschen, welche vom Patriarchat betroffen sind, endlich wieder vernetzen, zusammenkommen, sich austauschen und organisieren. Der Streik stellt für uns einen Auftakt zu neuen Kämpfen dar und weniger ein Abschluss, der an diesem Tag enden soll. Des Weiteren wollen längerfristige Perspektiven entwickeln und die Energie vom Tag mitnehmen. Das heisst für uns vor allem auch ausserhalb dieses Systems zu denken. Ansonsten wollen wir auf die vielen feministischen Kämpfe weltweit aufmerksam machen, die hier oftmals verloren gehen. Unser Kampf in der Schweiz sollte solidarisch sein mit den Kämpfenden in Rojava, einer Näherin* in Indien oder indigenen Frauen* in Brasilien.

Patricia, am Frauen*streik in der Schweiz beteiligen sich viele unterschiedliche Frauen* mit unterschiedlichen politischen Hintergründen. Warum und wie schaffen es die Frauen*, so breit aufgestellt zu agieren?
P: Die Geschichtsprofessorin Caroline Arni hat es in einem Interview so erklärt: Wir sind in einem Moment, in dem verschiedene Themen gleichzeitig auf den Tisch kommen. Ein paar Beispiele: Die Bewegung #Metoo hat Machtmissbrauch, sexuellen Missbrauch, Belästigung und Sexismus aufs Tapet gebracht. Kaum eine Frau* hat nicht mindestens einmal erlebt, dass sie ungewollt angefasst wurde. Dazu kommen krasse Vorfälle von Gewalt an Frauen* weltweit. Daneben weisen Feministinnen seit Jahren auf die Problematik der schlecht bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit hin, die zu einem Grossteil von Frauen geleistet wird. Dann sind Berufe, in denen vor allem Frauen* arbeiten, schlechter gestellt und bezahlt als andere. Frage: Warum ist die Arbeit von Kita-Angestellten, denen wir unsere Kinder anvertrauen, weniger wert, als die von Bankern, die mit Geld jonglieren?
Lohnabhängige Frauen* spüren zudem, dass ihre Arbeitsbedingungen immer mehr unter Druck geraten, mit Arbeit auf Abruf zum Beispiel. Das trifft auch gerade Mütter* sehr stark. Und am stärksten Frauen* ohne Schweizer Pass. Sie arbeiten häufiger unter prekären Bedingungen als andere und sind in allen Lebensbereichen von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Weiter können Frauen* im Alter von der Rente alleine nicht leben. Armut ist – nicht nur im Alter sondern auch sonst – weiblich. Dann finden beim Dauerthema Lohnungleichheit selbst die Wirtschaftsfrauen: Da gibt’s ein Problem. Während die Bäuerinnen dafür kämpfen, dass sie überhaupt einen Lohn bekommen und sozialversichert sind. Und so weiter, und so fort.
Jetzt kommt das alles zusammen. Und es stellt sich die Frage des Zusammenhangs. Viele Frauen* denken sich: Könnte es sein, dass in all dem ein Muster der Abwertung von Frauen* zum Ausdruck kommt? Das ist ein Moment der Politisierung. Es wird – ganz vielen Frauen* mit ganz unterschiedlichen Hintergründen – klar: Nicht ich mache etwas falsch. Sondern es sind die Verhältnisse, die falsch sind.

Auf welche feministischen Bewegungen bezieht ihr euch weltweit? Gibt es Bewegungen, die dich inspiriert haben?
P: Überall auf der Welt gibt es starke Frauen*bewegungen. Die kurdischen Frauen* etwa, die im Krieg kämpfen, aber auch im Exil – auch in der Schweiz – unglaublich aktiv sind. Sie sind überzeugt: Eine freie Gesellschaft kann es nur mit der Freiheit der Frau* geben. Dann die Frauen*bewegung in Argentinien, die Massendemonstrationen organisiert, als Antwort auf die brutalen Feminizide und sexualisierte Gewalt, oder die Frauen* in Frankreich, die sich mit an vorderster Front gegen Macrons sozialen Kahlschlag wehren. Es gibt unzählige Beispiele.
Auf unseren Frauen*streik bezogen, sind die Frauen* in Spanien wichtiger Bezugspunkt. Sie haben dieses Jahr, am 8. März, das zweite Mal in Folge gestreikt. Bis zu 6 Millionen haben teilgenommen! Die Frauen* sind zurzeit auch die stärkste Kraft, die sich in Spanien gegen die Rechten und Neo-Faschisten stellt. Wir haben uns in Bern mehrmals mit Aktivistinnen* aus der spanischen Streikbewegung austauschen können. Das war motivierend und lehrreich.
R: Wir sind mit unterschiedlichen feministischen Bewegungen auf der Welt vernetzt. Aus jeder Bewegung kann etwas gelernt werden. Diesbezüglich laden wir auch Menschen aus dem Ausland ein, welche über feministische Bewegungen wie z.B. in Spanien, Italien oder Deutschland sprechen werden. Ansonsten hat uns die Frauen* revolution in Rojava seit der Anfangszeit sehr stark inspiriert. So viele Frauen* haben mit den alten patriarchalen Clan-Strukturen gebrochen und sich dem Kampf gegen Daesh (IS) angeschlossen. Einige konnten wir persönlich kennenlernen und haben daraus viel Mut und Hoffnung für die Kämpfe hier gezogen.

Gibt es Ideen oder Bestrebungen, das nach dem Frauen*streik längerfristig etwas entstehen soll oder der Streik gar nächstes Jahr wiederholt werden soll?
P: Es gibt Frauen*, für die ist der 14. Juni das Ziel, und es gibt Frauen*, für die ist der 14. Juni erst der Anfang. Wir werden uns nach dem Frauen*streik treffen und bereden, wie es weitergeht. Aus der Erfahrung der letzten Monate lässt sich sagen, dass es an Ideen nicht mangeln wird. Und: Etwas, was dieser Streik schon jetzt geleistet hat, ist, dass neue Netzwerke gewachsen sind. Aus Frauen*, die sich vorher noch nie gesehen haben, sind Mitstreiterinnen* geworden. Wir unterstützen uns gegenseitig, wir arbeiten zusammen, wir tauschen uns aus. Darin liegt eine neue Stärke, die garantiert weiterwirken wird. Weit über den Frauen*streik 2019 hinaus.
R: Es muss unbedingt weitergehen. In welcher Form dies geschehen soll ist momentan noch offen. Viele werden nach dem Streik erst einmal eine kleine Pause benötigen. Aber wichtig wird es sein, dass wir einen kämpferischen Tag erleben und damit die Motvation hochbleibt weiterzumachen. Wir würden es befürworten, wenn sich jährlich ein grosser feministischer Kampftag etablieren würde – ob am 8. März, am 14. Juni oder an einem anderen Tag ist dabei sekundär.

Gibt es Hindernisse bei der Streikmobilisierung? Wäre es für euch sogar ein Misserfolg, wenn 2019 weniger Menschen teilnehmen würden als 1991?
P: Der Faktor Zeit ist unsere grösste Herausforderung. Wir wären gerne jeden Tag draussen unterwegs: am Bahnhof, in den Einkaufsstrassen, auf den Spiel- und Sportplätzen. Um Flyer zu verteilen und mit jeder Frau* ein paar Minuten zu reden. Dazu Infoveranstaltungen in allen Organisationen und Vereinen, die es in Bern gibt, und spektakuläre Aktionen, die auf den Streik aufmerksam machen. Diese Dimension der Mobilisierung können wir natürlich nicht stemmen. Denn wir alle leisten bezahlte und unbezahlte Arbeit, wir haben Kinder, Familien, Freund*innen und sind von Morgens bis Abends eingespannt. Trotzdem: Wir mobilisieren so gut, wie wir können: Ein bis zwei Mal in der Woche flyern wir in der Stadt, einige Frauen* geben Workshops, andere organisieren Aktionen. Es werden Transpis gemalt, Stammtische organisiert und an der Streikbar Drinks ausgeschenkt. Es ist schon so unglaublich viel passiert in den vergangenen Wochen und Monaten. Wir finden: Jedes Gespräch, das geführt wurde, jede einzelne Frau*, die wir erreicht haben und jede Aktion, die auf die Beine gestellt wird, ist ein Erfolg.
R: Grundsätzlich ist die Resonanz sehr positiv. Es haben sich viele interessierte Menschen bei uns gemeldet, um am Streik mitzuhelfen. Gleichzeitig haben Frauen* viele Hürden sich in irgendeiner Form organisieren zu können. Das kann beispielsweise eine Doppelbelastung im Job und im Haushalt sein, die Sozialisierung oder sozialer Druck. Gerade bei jungen Frauen* ist der gesellschaftliche Druck so gross, dass es schwierig ist, sich politisch zu engagieren. Wir sind natürlich heute in einer anderen historischen Situation als 1991. Dementsprechend sind die Kriterien für einen Erfolg oder Misserfolg auch ganze Andere als damals. Wir möchten mithelfen, dass sich möglichst viele Frauen* empowern können und sehen es als Chance, aus den gemachten Erfahrungen zu lernen, Analysen abzuleiten und uns theoretisch, als auch praktisch weiterzuentwickeln.

Es werden sich auch Männer* an den grossen Demonstrationen beteiligen. Seht ihr darin
einen Widerspruch und wie geht ihr damit um?
P: Es gibt dazu verschiedene Meinungen. In Bern steht die Demonstration, die gegen Abend stattfindet, auch Männern* offen. Es ist aber wichtig, sich als Mann* vorher Gedanken zu machen: Gibt es etwas anderes, konkreteres, das ich tun kann? Mich um Kinder oder andere Angehörige kümmern, zum Beispiel? Oder die Schicht einer Arbeitskollegin übernehmen, falls sie nicht einfach streiken kann? Es ist in erster Linie wichtig, dass es die Frauen* sind, die an der Demonstration dabei sein können. Dazu können Männer* ganz aktiv etwas beitragen, indem sie Verpflichtungen übernehmen.
Die Aktionen, die tagsüber stattfinden, sind meist Aktionen von Frauen* mit Frauen*. Als Mann* fragt man am Besten einfach nach, ob es eine Unterstützungsmöglichkeit gibt. Wichtig ist: Dieser Tag ist der Sichtbarkeit von Frauen* gewidmet. Als Mann* sollte man das im Kopf haben und sich nicht in den Vordergrund stellen. Sind Medienleute anwesend und wollen ein Interview, kann Mann* sich auch überlegen, zu sagen: Hey, es geht hier nicht um mich. Die Frauen* sind dort drüben, sprecht mit ihnen.
In der Teilnahme an der Demonstration sehe ich aber keinen grundsätzlichen Widerspruch. Wenn Männer* mitlaufen, dann wohl deshalb, weil sie unsere Forderungen unterstützen. Wenn sie das tun, sollen sie ihren Teil dazu beitragen, dass diese Forderungen auch durchgesetzt werden. Und zwar nicht nur an diesem einen Tag, sondern an jedem einzelnen danach auch. Ganz konkret, im Alltag. Und klar ist: Am 14. Juni sind es ausschliesslich Frauen*, die die Demonstrationen anführen. Und einzig Frauen*, die am Frauen*streik Reden halten.
R: Wir finden es wichtig, dass sich Menschen, welche vom Patriarchat betroffen sind, autonom organisieren können. Dass bedeutet Räume zu schaffen, in denen Frauen* nicht von patriarchaler Unterdrückung ausgesetzt sind. Dies fördert die Solidarität und den Zusammenhalt unter den Frauen*. Andererseits müssen natürlich alle Geschlechter* befreit werden – also auch die Männer*. Hierbei finden wir es wichtig, dass an diesem Tag auch die Männer* sich in Selbstkritik üben und sich reflektieren. Bei Demonstrationen und Aktionen haben wir den Konsens gefasst, dass Frauen* sichtbar sein sollen.

Was seht ihr für Möglichkeiten, wie sich Männer solidarisch beteiligen können?
P: Bist du Vater, dann kümmere dich um die Kinder. Bist du Partner, dann übernimm die Hausarbeit. Bist du Arbeits-, Uni- oder Schulkollege: Dann unterstütze den Streik und deine Kolleg*innen, die an diesem Tag fehlen. Du kannst den Frauen*streik mit einer Spende auch finanziell unterstützen. In Bern gibt es ausserdem eine solidarische Männer*gruppe, die sich selbständig organisiert. Diese Männer* unterstützen unsere Arbeit, indem sie zum Beispiel die Kinderbetreuung übernehmen, Verpflegung organisieren, Merchandise für die Streikkasse produzieren oder einen Workshop auf die Beine stellen, in dem es darum geht, wie Mann frauen*feindlichen Kommentaren im Netz etwas entgegensetzt. Am Streiktag selber werden diese Männer* den Kinderhüte-Dienst stellen, Streikküchen organisieren und weitere Arbeiten übernehmen. Was konkret geplant ist, werden sie selber kommunizieren. Was ich aber weiss, ist, dass sie noch Unterstützung brauchen können. Also, Männer* da draussen: Schliesst euch ihnen an!
R: Cis-Männer* können sich dadurch solidarisch zeigen, indem sie beispielsweise Aufgaben übernehmen, die in der Gesellschaft vor allem den Frauen* zugeteilt werden: Kinderbetreuung, Kochen etc. Des Weiteren können ihr euch an Aufgaben beteiligen, die eher im Hintergrund ausgeführt werden und weniger sichtbar sind, um uns Frauen* den Raum nicht zu nehmen. Zudem werden wir auch Vorträge und Workshops haben, in der Mann* sich mit der privilegierten Position in der Gesellschaft kritisch auseinandersetzten kann.

Zu guter Letzt habt ihr jetzt noch die Möglichkeit für eurer Programm noch etwas Werbung zu machen:
P: Alle Informationen zum Frauen*streik in Bern gibt es unter: www.frauen-streiken.ch
Für Informationen und Kontakt zur solidarischen Männergruppe: www.frauen-streiken.ch/soli
Möchtest du den Frauen*streik finanziell unterstützen? Jede Spende, egal ob gross oder klein, ist willkommen! www.frauen-streiken.ch/jetzt-spenden
R: Informationen zu unserem Tag findest du auf unserer Webseite: www.anarchistisch.ch
Ansonsten gibt es auf Facebook die Seite «Jinwar Dorf Frauen_streik». Für alle Aktiven auf den Sozialen Netzwerken gibt es unter dem Hashtag #fstreikbe Informationen zu allen Koordinationen. Wir sehen uns auf den Strassen.