Zur Corona Krise

02. April 2020 / Heute ist der Aktionstag zur Nachbar*innenschaftshilfe. Pünktlich dazu haben wir einen allgemeinen Text zur COVID-19 Krise verfasst und uns  mit einem Transparent mit der Botschaft: Wer hilft denen, die keine Nachbar*innenschaft, keine Wohnung, kein Zuhause haben? Solidarität für alle“ beteiligt. Lasst uns von unten kollektiv Handeln, statt uns blind staatlichen Zwangsmassnahmen zu unterwerfen. 

Die COVID-19 Krise
Die COVID-19 Pandemie bedeutet für alle Menschen eine ausserordentliche Situation, die mit vielen Herausforderungen verbunden ist. Für die Regierung ist dies eine besondere Belastungsprobe. Verlassen sich viele Menschen in solch unsicheren Zeiten darauf, dass der Staat die nötigen Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung und zur Überwindung der Krise ergreift. Der Staat handelt mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Durch neue Vorschriften wird die Kontrolle der Freiheit weiter ausgebaut. Der Bundesrat bedient sich dabei dem Notrecht und kann somit die Verfassung und Regelungen ausser Kraft setzen. Durch die staatlichen Eingriffe verändert sich das Zusammenleben in der Gesellschaft innerhalb von kürzester Zeit tiefgreifend. 
Staatliche Massnahmen
Es erscheint uns nötig, dass Massnahmen zur Anwendung kommen, die zum Ziel haben, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Wissenschaftliche Forschungen zeigen die Gefährlichkeit von COVID-19 auf und fordern zum Handeln auf. Die von der Regierung getroffenen Massnahmen wollen wir kritisch hinterfragen:
  • Die Bewegungsmöglichkeit wird eingeschränkt und der Bundesrat droht mit Ausgangssperren, sollte sich die Bevölkerung nicht an die Weisung „Zuhause bleiben“ halten. Wer sich draussen in Personengruppen von mehr als fünf Personen trifft, muss mit einer Busse rechnen. Um dies durchzusetzen, wurden öffentliche Orte geschlossen und es patrouillieren Polizeikräfte in Wohngebieten. Für viele Menschen hat die Aufforderung zuhause zu bleiben weitreichende Konsequenzen. Zur Überprüfung der Bevölkerung setzt der Staat auf die systematische Auswertung von Handyortungen.
  • Die Grenzen werden geschlossen. Die Grenzschliessung beschränkt sich hierbei grösstenteils auf Personen und nicht auf den Warenverkehr. Somit steht der gesundheitliche Schutz nur an sekundärer Stelle, denn auch über Gegenstände lassen sich Viren übertragen. 
  • Die Armee und zusätzliche Sicherheitskräfte werden mobilisiert. Die Armee unterstützt teilweise zivile Kräfte beispielsweise an der Grenze. Zudem war in anderen Ländern bereits zu beobachten, dass die Armee für die Durchsetzung von Ausgangssperren eingesetzt wurde. Für die Schweiz ist es die grösste Mobilmachung der Armee seit dem 2. Weltkrieg.
  • Der Staat schuf zahlreiche Schutzbestimmungen der Arbeiter*innen ab. Konkret gelten gewissen gesundheitliche Bestimmungen wie z.B. der Mindestabstand von 2 Metern in gewissen Branchen nicht. Zudem dürfen kantonale Behörden nicht pauschal Branchen schliessen. Damit muss jeder Betrieb und jede Baustelle einzeln geschlossen werden, falls Gesundheitsbestimmungen nicht eingehalten werden. 
  • Durch die Lahmlegung vieler Wirtschaftszweige bangen unzählige Menschen um ihre Existenzgrundlage. Es ist unbestritten, dass grosse Teile der Märkte zusammengebrochen und viele Unternehmen dadurch in Not geraten sind. Um diese Entwicklung abzufedern hat der Bund Hilfspakete geschnürt. Die Gelder werden jedoch an die Unternehmen und nicht direkt an die Angestellten ausgezahlt. 
Auswirkungen auf unseren Alltag
All die Massnahmen, die der Staat im Namen der Bekämpfung des COVID-19 Virus getroffen hat und noch treffen wird, zeugen davon, dass er sich nicht davor scheut, in Ausnahmesituationen äusserst autoritär und rücksichtslos zu agieren. Er handelt interessengeleitet zu Gunsten grosser Unternehmen und keineswegs zum Wohle der Gesamtbevölkerung. Gerade die Menschen, die bereits vor der Krise gesellschaftlich schlechter gestellt waren, tragen die grösste Last:
    
Arbeitswelt: Die staatlichen Massnahmen trafen und treffen  die verschiedenen Branchen ganz unterschiedlich. Während Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe wie Museen, Restaurants oder Kinos aufgrund der Ansteckungsgefahr durch die Menschenansammlungen schliessen mussten, blieb ein grosser Teil der Wirtschaft unangetastet. Baustellen und die Industrie mit hunderten von Arbeiter*innen, auf teilweise engsten Raum, haben Sonderregelungen für gesundheitlichen Bestimmungen erhalten. Es gibt kaum Kontrollmechanismen, um Verstösse aufzudecken. Die wirtschaftlichen Folgen treffen somit vor allem kleineren Betriebe, während die finanzschweren Wirtschaftszweige weiterhin produzieren können. Hinzu kommen Chef*innen, welche versuchen mit Entlassungen, Prellung von Kurzarbeit oder Zwangsferien, wirtschaftliche Ausfälle auch innerhalb der Firmen auf die Angestellten abzuwälzen. Hierbei gibt es bereits erste Fälle von Entlassungen, weil Arbeiter*innen auf gesundheitliche Missstände im Betrieb aufmerksam machten. In der Gesundheit, Pflege und Betreuung muss dagegen Akkordarbeit geleistet werden. Sektoren, in denen in den letzten Jahren massiv gespart und abgebaut wurden, tragen nun die praktische Bekämpfung des Virus. 
Besonders hart trifft es Arbeiter*innen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Wenn der Westen nicht mehr konsumiert, stehen die Produktionsstätten in den jeweiligen Kontinenten still. Die Folge nicht einmal mehr ein Hungerslohn. Wilde Streiks werden von den örtlichen Regierungen gewaltsam niedergeschlagen. Solange, bis der Bedarf an billigen Konsumgütern wieder steigt. 
Patriarchat: In den Bereichen wie Verkauf, Pflege und Betreuung, wo die Ansteckungsgefahr für den Corona-Virus am Grössten ist, arbeiten häufig Frauen. Doch auch zu Hause lauert in dieser Zeit für Viele eine grosse Gefahr. Erste Meldungen von Frauenhäusern oder feministischen Organisationen zeigen, dass weltweit die häusliche Gewalt durch die Quarantänen und Ausgangssperren zwei bis dreimal zugenommen hat. Angebote, um den Betroffenen schnell und unkompliziert zu helfen, gibt es kaum. So wurden beispielsweise Frauenhäuser, in den letzten Jahren von rechtsbürgerlichen bekämpft und schweizweit weiter abgebaut. Durch die gesellschaftlichen Normen werden Frauen wieder stärker in klassische Rollenbilder gedrängt. Kinderbetreuung oder andere Care-Arbeiten werden in Zeiten der Krise wieder als Aufgabe der Frauen angesehen. Patriarchale Gewalt wirkt in Zeiten von sozialer Isolation noch stärken auf jene, welche schon betroffen sind.
Ungleiche Bildungschancen: Durch den neuen Fernunterricht wird von den Kindern weiterhin erwartet, schulische Leistungen zu erbringen. Die individuelle Benachteiligung wird hierbei ausser Acht gelassen. Der Zugang zu Internet, Computer oder Drucker ist nicht für alle selbstverständlich. Angebote wie Nachhilfe fallen weg, während für Andere zu Hause zusätzliche psychische oder 
physische Belastungen lauern.  
Soziale Isolation: Von der Gesellschaft verstossene, werden weiter in die Isolation gedrängt. Drogenanlaufstellen oder Obdachlosenunterkünfte müssen in dieser Zeit schliessen oder sind stark eingeschränkt oder überlastet. In verschiedenen Ländern werden Wohnungslose deshalb weggesperrt oder vertrieben. Mitmenschen sollen als potenzielle Gefahr angesehen werden statt auf ein solidarisches Miteinander zusetzen. In stationären Einrichtungen wie Spitälern, Heimen oder Knästen gelten Besuchsverbote. So kommt es zur fast vollständigen sozialen Isolation der Bewohnenden, was mit grossen psychischen Belastungen einhergehen kann. 
Rassismus: Sowohl innerhalb der Landesgrenzen wie auch an den Aussengrenzen der Festung Europa werden Menschen, die auf der Flucht sind, bekämpft. Asylheime und Bunker gleichen mehr denn je Gefängnissen. Denn es gelten besondere Ausgangssperren. Hygienische Massnahmen werden kaum welche getroffen. Vielmehr müssen sich weiterhin Dutzende in enge Küchen- und Schlafräume bewegen. Während der Warenverkehr immer noch frei zirkulieren kann und gesundheitliche Risiken ignoriert werden, gelten Migrant*innen als potenzielle Gefahr. Besonders Personen, denen ein asiatischen Hintergrund zugeschrieben wird, haben vermehrt mit Beschimpfungen und Übergriffen zu kämpfen. Der Nationalismus wird medial und politisch als Durchhalteparole zelebriert. 
Repression: Im Zuge der Pandemiekontrolle wird auf eine repressive Kontrolle gesetzt. Während Viele noch in den Fabriken und Baustellen schuften müssen, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten, werden gleichzeitig Versammlungsverbote erlassen. In Ländern wie Chile oder Frankreich kommen diese Verbote in Momenten von monatelangen sozialen Protesten. In Chille nützte die Regierung den Notstand beispielsweise, um die politischen Symbole wie Graffitis oder Transparente von den Strassen zu säubern. Weltweit kämpfen Menschen um ihr Überleben und haben das Privileg nicht, einfach für einige Monate nach Hause zu gehen. Die Unterdrückten sollen den Preis der Krise zahlen und die staatliche Repression dient dazu, den Protest von Unten in jeder Form zu unterbinden. Nebst dem sichtbaren Präsenz durch polizeiliche Kontrollen oder Bussen kommt auch die digitale Überwachung dazu. Handys werden geortet werde, um grössere Menschenansammlungen zu erkennen. Ein Mittel, welches auch nach der Krise jederzeit zur Anwendung kommen soll. Hinzu kommt die Mobilisierung des Militärs im Inneren, um beispielsweise Grenzen zu sicheren oder Patrouillen für die Ausgangssperre zu fahren. Unnötig zu erwähnen, dass kein Panzer gegen den Virus helfen wird.
Nach der Krise ist vor der Krise                              
Aus der COVID-19 Krise können viele Erkenntnisse gezogen werden. Der Staat kann bereits Massnahmen für die darauffolgende Wirtschaftskrise einüben. Für uns heisst es vor allem, ein kritisches Auge auf die staatlichen Bestimmungen zu werfen. Zudem organisieren sich neue Formen von Nachbar*innenschaftshilfen oder Onlineaktivismus. Durch die Krise entstehen neue Räume und Ansätze, aus denen wir lernen sollten. 
Lange bevor sich der Bundesrat mit dem Thema Corona konkret an die Öffentlichkeit gewandt hat, haben Menschen angefangen sich selbst zu organisieren. In verschiedenen Quartieren und Städten fing es an mit Inseraten, Flyer in Briefkästen, wo Privatpersonen ihre Hilfe anboten, Einkäufe und Besorgungen zu machen, für ältere Menschen oder sonstige Risikogruppen. Im Haushalt aushelfen, mit dem Hund spazieren gehen, oder einfach nur ein telefonisch sozialer Austausch. 
Auch radikalere gesellschaftliche Ansätze, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen erhielten eine breite Zustimmung. Aus verschiedenen Ecken kamen neue Stimmen für Enteignungen oder Mieterlasse, offenen Grenzen, bessere Entlöhnungen für Tieflohn-Berufe oder Streiks. Parolen und Anliegen, welche auch nach der COVID-19 Krise ihre Notwendigkeit behalten werden. In zahlreichen Orten organisierten sich Streiks auf Baustellen. Die Streiks waren eine selbstbestimmte Antwort von Unten, die Wirtschaft zu blockieren, statt auf weitere gesundheitliche Risiken zu warten. 
Die Welt steht in einer Krise, nicht nur wegen einer Pandemie, schon lange vorher. Aktuell haben viele von uns Zeit. Zeit, welche im kapitalistischen Alltag oftmals fehlt. Zeit also, um zu planen, sich zu bilden, zu handeln oder solidarisch zu sein. Zeit auch, um Vorbereitungen zu treffen, die neu entwickelten Strukturen und Räume zu vertedigen, z.B. den Versuch von Grosskonzernen auf die Nachbar*innenschafsthilfen aufzusteigen. Lasst uns von unten kollektiv Handeln, statt uns blind staatlichen Zwangsmassnahmen zu unterwerfen.