18. Oktober 2016 /
Die Kantonspolizei Bern hat Anfang Oktober zu einer Öffentlichkeitsfahndung aufgerufen. Als Ende August am Rande einer kurdischen Demo ein türkischer Faschist der „Grauen Wölfe“ auftauchte und versuchte die Demo mit Provokationen und Beleidigungen zu stören, handelten anwesende Antifaschist*innen. Bei der kurzen Auseinandersetzung verletzte sich der Faschist leicht. Per Internetfahndung wird nun ein Mensch gesucht, der bei der Auseinandersetzung beteiligt gewesen sein soll. Wir wehren uns gegen die anhaltende Überwachung der Solidaritätsbewegung mit Rojava und Bakur (kurdische Gebiete in der Türkei) und wollen die staatlichen Spaltungsversuche nicht unkommentiert lassen.
Erdogans Druck auf Europa
Der Einsatz des umstrittenen Internetprangers wiederspiegelt anschaulich die aktuelle Repressionsstrategie der Staatsgewalt. In Europa, insbesondere in Deutschland nimmt die Überwachung und Repression gegen kurdische und türkische Revolutionär*innen deutlich zu. Dies aufgrund des Druckes, welcher Erdogan auf Europa ausübt. So droht er regelmässig hunderttausende Flüchtlinge nach Europa zu schicken. Auch die Schweiz kooperiert mit dem türkischen Regime, um seine wirtschaftlichen Interessen nicht zu gefährden. So wurden in der Vergangenheit immer wieder kurdische und türkische Revolutionär*innen ausgeliefert, obwohl ihnen in der Türkei Verfolgung und Folter drohen. Erst im vergangen Jahr wurde Mehmet Yeşilçalı aufgrund von massivem Druck aus der Türkei nach Deutschland ausgeliefert.
Vorfälle mit faschistischen «Grauen Wölfen» in Bern
Die Gruppierung «Graue Wölfe» ist ein Sammelbecken für türkisch-nationalistische, faschistische und chauvinistische Ideologien. In Bern gab es in den letzten zwölf Monaten am Rande von Demonstrationen mindestens vier Vorfälle mit «Grauen Wölfen». Durch ein solidarisches Zusammenstehen und ein entschlossenes Handeln konnten die FaschistInnen jedes Mal erfolgreich vertrieben werden. Die Vorfälle zeigen, dass in Bern Sympathisant*innen der «Grauen Wölfe» existieren und das leider jederzeit mit Übergriffen gerechnet werden muss. Dieser Umstand ist offensichtlich auch der Polizei bewusst und wird dazu benutzt, um mehr Repression gegenüber Solidaritätsaktionen mit Rojava oder Bakur zu legitimieren.
So wurde am 15.09.2015 ein Soli-Essen für Rojava u.a. mit der Begründung, dass die Sicherheit der anwesenden Personen nicht gewährleistet sei, aufgelöst. Des Weiteren werden so auch die Überwachungsmassnahmen und die Polizeiaufgebote bei Demonstrationen gerechtfertigt.
– 12.09.2015
Rechtsnationale und faschistische Gruppierungen, die der türkischen AKP-Regierung nahestehen rufen zu einer Demonstration in Bern auf. Antifaschist*innen rufen zu einer Gegendemo auf und besetzen den Kundgebungsort. Am Rande der Demonstration fahren Autos von «Grauen Wölfen» in eine Menge von Antifaschist*innen. Anschliessend räumt die Polizei den Platz und greift Antifaschist*innen mit Pfefferspray, Schlagstock und Gummigeschossen an. Mindestens zwei Dutzend Menschen werden durch die «Grauen Wölfe» und die Polizei verletzt.
– 09.02.2016
Gegen Ende einer Gedenkveranstaltung für Ermordete in Cizre tauchen «Graue Wölfe» und türkische Nationalisten auf. Diese provozierten mit faschistischen Parolen und versuchten die Veranstaltung anzugreifen. Anwesende Antifaschist*innen können die «Grauen Wölfe» durch ein schnelles und entschlossenes Handeln vertreiben.
– 23.04.2016
Türkische FaschistInnen und NationalistInnen rufen in ganz Europa zu Demonstrationen auf. Auch in Bern wird eine Kundgebung angesagt. Antifaschist*innen besetzen den Kundgebungsort und können einen Aufmarsch von «Grauen Wölfen» und anderen Gruppierungen verhindern.
– 20.08.2016
Rund 300 Kurd*innen wollen mit einer Demonstration auf die Haftsituation von Öcalan aufmerksam machen. Wieder tauchen «Grauen Wölfe» am Rande der Demonstration auf und provozieren. Diese werden von den anwesenden Personen vertrieben.
Soft Repression und Überwachung
Die Repressionsmechanismen des Staates können unterschiedliche Formen und Intensitäten annehmen. Bei der Solidaritätsbewegung für Rojava und Bakur erleben wir aktuell eine «Soft Repression». Anstelle von Demonstrationsverboten und Massenverhaftungen wird auf Überwachung, Abschreckung und Drohung gesetzt.
Im aktuellen Fall soll ein Exempel an einer Einzelperson statuiert werden um die ganze Bewegung abzuschrecken. Wer sich gegen FaschistInnen wehrt, muss damit rechnen auf dem Internetpranger zu landen. Demonstrationen werden systematisch von Kamerawägen abgefilmt oder durch zivile PolizistInnen abfotografiert. Diese Taktiken werden vermehrt auch bei anderen Demonstrationen angewandt. Bei der Erarbeitung und Umsetzung von Überwachungsmassnahmen wird auf die Erfahrung von anderen Behörden zurückgegriffen. So hat am 29.09.2016 die Schweiz ein Polizeiattaché in die Türkei geschickt um die «polizeiliche Zusammenarbeit gezielt zu verstärken».
Staatliche Spaltungsversuche
Im Umgang mit den Solidaritätsdemonstrationen mit Rojava und Bakur offenbart sich die latent rassistische Haltung der Regierung. Kurdische und türkische Oppositionelle sollen froh sein, dass sie «im Gastland» leben dürfen und sollen in der Schweiz ihre politischen Aktivitäten einstellen. Wenn auf die Unterdrückung in der Türkei und in Rojava aufmerksam gemacht wird, wird dies von der Regierung öffentlich als «unpassend» kommuniziert.
Dass es seit einiger Zeit eine Zusammenarbeit zwischen Revolutionär*innen, Anarchist*innen mit der Solidaritätsbewegung zu Rojava und Bakur gibt, ist der Staatsgewalt umso mehr ein Dorn im Auge.
In den letzten Tagen und Wochen wurden verschiedene Einzelpersonen höchstpersönlich von Sicherheitsdirektor Nause zu Gesprächen eingeladen. Dabei wurde einerseits versucht die Anzahl der Demonstrationen von kurdischen & türkischen Linken zu beschränken und andererseits mutmasslich, zum Organisator*innenkreis zählende Personen einzuschüchtern. Bereits in vergangener Zeit wurden immer wieder migrantische Bewegungen davor gewarnt mit Anarchist*innen und «Aktivist*innen aus dem Umfeld der Reitschule» gemeinsame Aktionen zu organisieren.
Die plumpen Versuche, Menschen einzuschüchtern und Bewegungen zu spalten wollen und müssen wir kollektiv beantworten. In diesem Sinn finden wir es wichtig Wege zu suchen, um uns gegen Repression und faschistische Übergriffe zu wehren und gemeinsam eine solidarisch-kritische Bewegung zu organisieren.